Workflows oder Cases?
Wann setze ich welches Konzept ein
Einleitung
Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen sind kritische Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Bewältigung der digitalen Transformation von Organisationen. Prozesse übernehmen Eingaben aus ihrer Umwelt und transformieren diese zielgerichtet mittels Aktivitäten in Outputs. Klassischerweise wird dabei angenommen, dass die Ablaufreihenfolge von Aktivitäten vor der Ausführung der Prozesse (zur sogenannten Buildtime) bestimmbar ist und spezifiziert werden kann. Dieser Typ von Prozessen wird auch als “strukturiert” bezeichnet. Im Ergebnis der Digitalisierung und Automatisierung dieser Prozesse entstehen Workflows. Nicht immer jedoch können die Ablaufreihenfolgen auch wirklich zur Buildtime bestimmt werden – wir sprechen dann von unstrukturierten Prozessen.
In diesem Beitrag beleuchten wir zwei Konzepte zur Digitalisierung von Prozessen und stellen sie einnander gegenüber: Workflows und Cases. Im Gegensatz zur Workflows dienen Cases der Digitalisierung und Automatisierung unstrukturierter Prozesse. Wir gehen zudem der Frage nach, wie Workflows und Cases zur Digitalisierung von Prozessen miteinander kombiniert und Workflows iterativ aus Cases heraus entwickelt werden können.
Workflows
Sind die Ablaufreihenfolgen von Aktivitäten bekannt bzw. können diese zur Buildtime von digitalen Prozesse ermittelt werden (strukturierte Prozesse), so können Prozesse als Workflows digitalisiert und so die Ablaufreihenfolge von Aktivitäten automatisiert werden. Mögliche Ablaufreihenfolgen von Aktivitäten werden dabei mit Hilfe einer grafische Workflowbeschreibungssprache, wie bspw. der Business Process Model and Notation (BPMN) der Object Management Group (OMG)1, festgelegt. Entscheidungen, welcher Pfad zu wählen ist, können dabei auf unterschiedliche Arten getroffen werden:
Automatisierung der Ablaufreihenfolge 4975_f7730d-f2> |
Beispiel 4975_a705de-6d> |
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Spezifikation mit Workflowbeschreibungssprache 4975_817adb-37> | 4975_f1b628-0f> |
Spezifikationssprache für Entscheidungen 4975_eeb99f-71> | 4975_4d6c3a-a1> |
Auswahl durch Prozessbeteiligte 4975_f64fdd-40> | 4975_6b04e9-02> |
Cases
Sind die möglichen Ablaufreihenfolgen von Aktivitäten zur Buildtime hingegen nicht bekannt oder der Aufwand zu deren Ermittlung sehr hoch (unstrukturierte Prozesse), so können diese nicht a priori beschrieben werden und zur Laufzeit automatisiert eine Reihenfolge gewählt werden. Dennoch ist es auch in diesen Fällen möglich, einen Prozess Ende-zu-Ende zu digitalisieren. Cases, deutsch auch Fälle genannt, stellen eine Alternative zu Workflows dar. Bei der Spezifikation von Cases zur Buildtime werden zwar die Aktivitäten analog zu Workflows modelliert, die Ablaufbeziehungen jedoch nicht oder nur teilweise. Hier bleibt es zur Runtime eines Cases den Prozessbeteiligten überlassen, die jeweils nächste Aktivität auszuwählen und zu starten. Dies bedingt das entsprechende prozedurale Wissen bei den Prozessbeteiligten, dafür sind jedoch die Freiheitsgrade bei der Festlegung einer konkreten Reihenfolge für einen Fall sehr viel größer. Beispiele für diese Art von Prozessen sind wissensintensive Prozesse, bei denen explorativ mehr und mehr über den konkreten Fall gelernt wird, wenn dieser bearbeitet wird. Auf Basis des erworbenen Wissens und des bereits vorhandenen Wissens aus anderen Fällen werden von den Prozessbeteiligten die jeweils nächsten Aktivitäten ausgewählt. Die Bereitstellung, die kontinuierliche Verbesserung und die adäquate Unterstützung der Fallbearbeitung mit IT-Systemen wird als Adaptive Case Management bezeichnet2,3.
Für die Modellierung von Cases zur Buildtime und deren Ausführung zur Runtime steht ebenso wie für Workflows eine Notation zur Verfügung – die Case Management Model and Notation (CMMN) der OMG4. Für die Ausführung werden Case Engines verwendet. Alternativ, aber verbunden mit Einschränkungen, können hier auch ad hoc- oder Ereignis-Teilprozesse der BPMN verwendet werden.
Dennoch ist es auch mit Cases möglich, Ablaufreihenfolgen zwischen Aktivitäten zur Buildtime zu spezifizieren bzw. die Freiheitsgrade bei der Auswahl von konkreten Ablaufreihenfolgen durch Casebeteiligte zur Runtime einzuschränken. In Abhängigkeit vom Zustand eines Cases können gewisse Aktivitäten ausgeführt werden, andere jedoch nicht. Auch kann bspw. festgelegt werden, dass gewisse Aktivitäten ausgeführt werden müssen.
Kombination und Transformation
Beide Ansätze des Digitalisierung von Prozessen können miteinander kombiniert werden. Mehrere Anwendungsfälle sind dabei möglich:
Anwendungsfall 4975_511725-40> |
Beschreibung 4975_7edfef-14> |
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Ein Case als Klammer um mehrere Workflows 4975_ca313d-0b> |
In diesem Fall dient der Case streng genommen nicht der Digitalisierung eines Prozesses, sondern der Klammer um die Prozesse. Dies kann bspw. eine Customer Journey sein, bei der Kunden an verschiedenen Touchpoints Workflows auslösen. Welche Workflows aber genau ausgelöst werden und in welcher Reihenfolge dies geschieht ist zur Buildtime nicht spezifizierbar. 4975_e9b860-c9> |
Prozess wird mit Workflows und Cases digitalisiert 4975_e299b3-f1> |
Auch innerhalb eines Prozesses kann es Teile geben, die strukturiert sind und Teile, die unstrukturiert sind. Beide Digitalisierungsansätze für Prozesse können dann für die jeweiligen Teilprozesse verwendet werden. Die CMMN bietet hierfür spezifische Aktivitäten an, mit denen Workflows gestartet werden können. 4975_c0f979-06> |
Prozesse können in einem Digitalisierungsprojekt zunächst nur als unstrukturierte Prozesse digitalisiert werden. Grund ist, dass die Analyse der Ablaufreihenfolgen von Aktivitäten sehr aufwändig und zeitintensiv sowie mit großen Unsicherheiten behaftet, insbesondere bzgl. der Häufigkeit genutzter Pfade, sein kann. Das Minimum Viable Product (MVP) besteht dann zunächst nur aus Cases, bei denen die Prozessbeteiligten ihr Wissen nutzen müssen, um Aktivitäten in der richtigen Reihenfolge zu starten. Die tatsächlichen Ablaufreihenfolgen werden dann im Zuge aus den Casebearbeitungen durch die Prozessbeteiligten zur Runtime ermittelt und wo wirtschaftlich oder zur Verbesserung der Qualität sinnvoll werden die Cases iterativ in Workflows transformiert. Die Transformation von Cases in Worflows werden wir in einem weiteren Beitrag beleuchten.
Fazit
Für beide Arten von Prozessen – strukturierte und unstrukturierte – stehen Konzepte für deren Digitalisierung inkl. der hierfür benötigten Notationen und Plattformen zu deren Ausführung bereit. Beide Konzepte können zudem miteinander kombiniert werden. Durch gezielten Verzicht auf die Spezifikation von Ablaufbeziehungen zwischen Aktivitäten bei einer Prozessdigitalisierung kann zudem die Zeit bis zum ersten digitalen MVP verkürzt werden. Eine nachträgliche Transformation in einen Workflow kann dann sukzessive erfolgen um manuelle Aufwände in der Bearbeitung zu reduzieren.
So ist abschließend festzuhalten, dass es sich Workflows und Cases nicht gegenseitig ausschließen, wie der Titel des Beitrags ein wenig suggeriert. Vielmehr ergänzen sich beide und bedienen spezifische Anwendungsfälle bei der Digitalisierung von Prozessen.
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- Zur BPMN vgl. auch die Spezifikation der Object Management Group: About the Case Management Model and Notation Specification Version 1.1 . Abruf am 08.01.2025 ↩︎
- Dr. Michael Jacob, Patrick Dohrmann: “Digitalisierung von Prozessen – Ein Lösungsansatz für das Prozessmanagement”. Veröffentlicht in “Der Prozessmanager”, 2019 ↩︎
- BITKOM: “Adaptive-Case-Management” – Leitfaden und Nachschlagewerk. BITKOM, 2013 ↩︎
- Zur CMMN vgl. auch die Spezifikation der Object Management Group: About the Case Management Model and Notation Specification Version 1.1 . Abruf am 08.01.2025 ↩︎